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Frau B. ist schwer erkrankt. Ihr Mann kümmert sich täglich rund um die Uhr um sie. Bei dieser grossen Aufgabe wird er seit rund einem Jahr entlastet: Zwei freiwillige Begleiterinnen von «wabe zürich» verbringen regelmässig Zeit mit Frau B.
Es ist einer jener schwülwarmen Sommertage. Zwei Frauen sitzen auf dem Sofa im Wohnzimmer der Familie B. Da ist zum einen Frau B., der vor gut zwei Jahren ein Hirntumor diagnostiziert worden ist, und zum anderen Frau O. von wabe zürich, einer Freiwilligenorganisation, die Schwerkranke begleitet und deren Angehörige entlastet.
Frau B. trägt eine sportliche kurze Hose und ein leuchtend grünes sommerliches Top. Ihre Augen sind wach, ihre Stimme klar.
Erst wenn es um die Beantwortung von Fragen geht, wirkt sie unsicher: «Ich habe ein Durcheinander im Kopf», sagt sie. Ihr Mann solle an ihrer Stelle antworten. Herr B., pensionierter Aussendienstmitarbeiter, ist immer für seine Frau da. «Das haben wir uns einmal versprochen». So kurz und knapp die Begründung, so klar die Aussage. Zusammen mit seiner Frau hätte er andere Pläne gehabt. Sie seien schon immer gerne gewandert, während Corona hätten sie sich E-Bikes angeschafft und schöne Touren unternommen. Heute sind Ausflüge nicht mehr möglich. Von den vielen Reisen von früher zeugen die Fotoalben, vom Familienleben mit den vier Kindern und sechs Grosskindern die Bilder am Kühlschrank.
Die Diagnose «Hirntumor» sei schockierend gewesen. «Der Schock ist immer noch da», sagt Frau B. Und die Trauer. Es sei nicht schön, wenn man nichts mehr wisse und nichts mehr könne. Wenn Frau B. nach Worten sucht, hilft Frau O. behutsam nach. Sie kennt die Patientin seit rund einem Jahr – und sie scheint sie sehr gut zu kennen. Zwischen Familie B. und Frau O. sowie Frau G., die im Wechsel die Familie B. besuchen, ist ein nahes, herzliches Verhältnis entstanden. Denn «von einem Tag auf den anderen, war ja alles anders», sagt Frau B. Da ist ein Vertrauensverhältnis eine grosse Entlastung.
Mit einer derartigen Erkrankung wisse man nie, was einem der nächste Tag bringe. An diese Ungewissheit, die aber auch die Möglichkeit biete, ganz im Moment zu leben, hat sich Frau O. gewöhnt. Man nehme sich nichts vor – man schaue einfach, was sich anbiete, was es brauche. Und die beiden Frauen erzählen von Dingen, die sie unternommen haben. Wie schön es war am Teich, wie überraschend es einmal zu regnen begonnen habe, wie schön die Blumen auf dem Balkon seien.
Am Anfang sei es schon komisch gewesen, dass da auf einmal eine fremde Person im sehr persönlichen Rahmen der Wohnung war. Aber das hätte sich schnell gelegt. «Es kommt halt nicht einfach jemand, sondern sie!», sagt Frau B. und zeigt lachend auf die Besucherin. Während Frau O. sich um die schwer Erkrankte kümmert, kann der Ehemann der Patientin etwas für sich selbst tun: Velo fahren, in die Physiotherapie gehen oder eine Besorgung erledigen. Es ist einer der wenigen Momente, die Herr B. für sich hat. Einen ganzen Nachmittag sorglos wegbleiben könne er dank wabe zürich. Für weitere Entlastungen sorgen Besuche von Freunden und Verwandten.
Warum Frau O. als Freiwillige bei wabe zürich tätig sei? Sie habe eben eine soziale Ader. Und doch zeigt es sich, dass es viel mehr braucht. Frau O. arbeitete früher im Spital, sie kennt die Pflege, weiss über Medikamente Bescheid und handelt mit Erfahrung, selbst im Notfall. Das sei zwar keine Voraussetzung für ihre spezielle Aufgabe bei wabe zürich, aber in ihren Augen hilfreich. Die Sicherheit und Klarheit, mit der die Begleiterin im Leben steht, ist eine optimale Basis für diese Tätigkeit: Einfach da sein, klarkommen mit dem, was gerade ist und empathisch mitschwingen beim Wechsel der Gefühle, den es auszuhalten gilt.
Vom Gespräch ist Frau B. müde geworden. Sie stellt die Fussstütze des Sofas hoch und lehnt sich zurück. Frau O. bringt ihr ein Glas Wasser – wohl im Bewusstsein dessen, dass die Hand, die das Wasser reicht, wichtiger ist als das Wasser zum Trinken. Denn – eine von vielen für Aussenstehende nicht erkennbare Folgen des Hirntumors – Frau B. weiss mittlerweile weder, wo in der Küche ein Trinkglas zu finden ist, noch wie man es füllt.
Nach dem eigentlichen Besuch weilt Frau O. manchmal noch einen Moment in der Gemeinschaft der Familie B. Abschied von einer Schwerkranken bedeute auch immer wieder loslassen üben. Weil man nie wisse, was der nächste Tag bringe.